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Historisches & Turnkultur

In dieser Rubrik wollen wir über Interessantes aus der Turngeschichte berichten. Dadurch möchten wir die Turnkultur in unserem Verein pflegen und weiterentwickeln.
(Autor und zuständig für diese Rubrik ist Wolfgang Pfannemüller, Dreieich)

Inhalt: (siehe rechts)


 

1912 – 2012:
100 Jahre Frauenturnen im
Turnverein 1880 Dreieichenhain.e.V.

  • Ein „schwaches“ Geschlecht setzt sich durch
  • Emanzipation und Integration durch Sport
  • Wie hat Turnen und Sport das Frauenbild verändert und die Emanzipation beeinflusst?
  • Vom Riegenturnen zum Fitness-Sport
  • Vom Breitensport zum Leistungssport
  • Wie haben Frauen das Vereinsleben geprägt?
  • Frauen, die stillen Stars im Verein

 Die Chronik des Turnverein 1880 Dreieichenhain berichtet, dass im Jahr 1912 erstmals „Turnen für Frauen“ im TVD angeboten wurde. Aus diesem Anlass möchte ich mit diedem Aufsatz nicht nur 100 Jahre Vereinsgeschichte beleuchten, sondern uns auch Gedanken machen wie sich in den letzten hundert Jahren das Frauenbild in unserer Gesellschaft durch Turnen und Sport verändert hat.

Eine Zeitreise:

Für alle diejenigen, denen die deutsche Turn- und Sportgeschichte nicht geläufig ist, möchte ich an dieser Stelle eine kurze Zeitreise machen.

Im Juni 1811 wurde auf der Berliner Hasenheide der erste öffentliche Turnplatz eröffnet. Initiator war der Lehrer und Patriot Friedrich-Ludwig Jahn, der mit Handwerksburschen und Studenten, die auch einen finanziellen Beitrag leisteten, einen Turnplatz herrichtete und Geräte zum Turnen und Klettern baute.

Schnell verbreitete sich die Idee vom Turnen und es kam zur Gründung der ersten Turnvereine, auch Turngesellschaften, Turngemeinden und Turnerschaften. Die ältesten Turnvereine in unserer Region sind der Turnverein 1824 Offenbach, die Turngemeinde 1837 Hanau und die Sprendlinger Turngemeinde von 1848.

Die Turner waren aber auch gesellschaftspolitisch aktiv und zählten zusammen mit den studentischen Burschenschaften zu den Wegbereitern der deutschen Demokratiebewegung, die 1848 mit der ersten Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche einen Höhepunkt erlebte. Im Jahr 1848 wurde in Hanau auch der Deutsche Turner-Bund gegründet. In den Folgejahren wurden die Turner wegen ihrer gesellschaftspolitischen Einflussnahme immer wieder gemaßregelt und zeitweise von der Obrigkeit verboten

Bis in die 1880er Jahre waren die Turnvereine die einzigen Vereine die den Sport in der heutigen Form anboten. Und aus den Turnvereinen entwickelten sich vielerorts auch die freiwilligen Feuerwehren.

Erst um 1900 entstanden die ersten Vereine die auch einzelne Sportarten, wie Fußball und Schwimmen anboten. In diese Chronik können auch Schützenvereine und Gesangvereine eingeordnet werden, die ihre Wurzeln ebenfalls im frühen 19 Jahrhundert oder bereits vorher hatten.

Zu Beginn waren die Turnvereine eher bürgerlich und national geprägt und in der Deutschen Turnerschaft organisiert. Mit der einsetzenden Industrialisierung wurde auch die sozialdemokratische Idee immer stärker und es gründeten sich Arbeiter-Turnvereine. Zusätzlich gab es auch konfessionell geprägte Turnvereine.

Der Turnverein Dreieichenhain schloss sich bald nach seiner Gründung dem Arbeiter- Turn- und Sportverband an. In diesem bedeuteten Verband waren neben den typischen turnerischen Sportarten, wie Gerätturnen und Gymnastik auch Leichtathletik, Faustball, Handball, Fußball, Radfahren, Wassersport und Kraftsport organisiert. Höhepunkte waren regionalen und nationalen Arbeiter-Turnfeste und die internationalen Arbeiter-Olympiaden, an der 1925 in Frankfurt auch eine Delegation des TVD teilnahm.

Die Arbeiter-Turn- und Sportvereine wurden im Dritten Reich zwangsweise aufgelöst und das Vereinsvermögen eingezogen. In der Folge wurde auch das tradtionelle deutsche Vereinswesen zerschlagen und gleichgeschaltet. Die heute noch in vielen Orten spürbare Rivalität der Vereine hat ihren Ursprung in der Ungleichbehandlung der Vereine und Vereinsmitglieder in der damaligen Zeit.

Nach dem 2. Weltkrieg durfte sich in der amerikanischen Besatzungszone in jeder Gemeinde nur ein Mehrzweckverein gründen in dem alle Sportarten und häufig auch Musik und Kultur angeboten wurde. Vielerorts blieb es bei diesen zwangsweise verordneten Interessengemeinschaften, aber es gab auch in der Folge die Wiedergründung der traditionellen Turnvereine.

Alle konkurrierenden Turnverbände wurden 1950 zum Deutschen Turner-Bund vereinigt und als Dachverband aller Sportverbände wurde der Deutsche Sportbund (heute Deutscher Olympischer Sportbund) gegründet. Auf Landesebende waren es der Hessische Turnverband und der Landessportbund Hessen.

Zurück zur Vereinsgeschichte.

Seit Gründung des Turnverein Dreieichenhain (TVD) im Jahre 1880 waren die Frauen stets fest eingebunden in das familiäre Vereinsleben. Sie waren die helfenden Hände und kreativen Kräfte bei der Vorbereitung und Durchführung von Vereinsveranstaltungen und Turnfesten, sie zogen mit ihren Männern hinaus auf den Turnplatz und sie kümmerten sich um die Familie und den Haushalt, wenn der Mann die abendlichen Turnstunden und an den Wochenenden die Turnfeste besuchte. Bei Festzügen waren sie als Festdamen und Jungfrauen schmückendes Beiwerk und sie sorgten auch dafür, dass die Männer und Zöglinge stets mit sauberer Turnkleidung und pünktlich zur Turnstunde erschienen.

Allerdings waren Frauen ausgeschlossen vom eigentlichen Gerätturnen und den Freiübungen (Gymnastik), denn das war Männersache. Auch konnten sie (vorerst) kein ordentliches Vereinsmitglied werden.

Das dies so war hängt auch damit zusammen, dass es am Ende des 19. Jahrhunderts aus moralischen Gründen als unschicklich galt wenn Frauen turnten oder sich öffentlich in lockerer Kleidung zeigten. Trotzdem gab es vereinzelt Initiativen von Frauen, die es den Männern gleich tun wollten und dazu aufriefen „ wöchentlich zweimal zu turnen, und zwar ungeschnürt in linnener Turnkleidung. Auch außer dem Turnplatz allen und jeden körperlichen Zwang, als der freien Bewegung hinderlich und somit der Gesundheit schädlich, zu verwerfen und abzulegen.“(aus dem Archiv des Frankfurter Turnverein von 1860)

So kam es, dass sich im TVD erst im Jahr 1912, also 32 Jahre nach Vereinsgründung, eine eigene Frauen-Turnriege bildete, die sich regelmäßig zu Leibesübungen traf. In der Vereinschronik findet man leider nur wenige Hinweise auf die Inhalte der Frauen-Turnstunden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich um eine Art Gruppen-oder Riegengymnastik mit Reifen, Stäben und Keulen oder um Tänze (Reigen) handelte, die von einem Turnlehrer einstudiert wurde. Das Langener Wochenblatt berichtete im Jahr 1920 von einer Vereinsveranstaltung mit den Worten „Ein besonderes Lob hat sich der Turnwart verdient für die Ausarbeitung der turnerischen Vorführungen. Die Reigen der Schüler, Damen und Turner boten den Besuchern etwas Reizvolles...“

Leider ist nur wenig von den Motiven der Frauen bekannt gemeinsam zu turnen. Vermutlich wollte man sich im Freundeskreis treffen und ein wenig Spaß haben als Ausgleich für die anstrengende Hausarbeit oder der Arbeit auf dem Feld oder in der Fabrik. Möglicherweise waren die Turnstunden auch erste Anzeichen einer beginnenden Emanzipation.

Die Turnerinnen waren damals züchtig bekleidet und das hinderte sie daran Turnübungen an den Geräten durchzuführen. Auch glaubte man „....dass Turnen ein breites Kreuz, einen dicken Hals und breite Hände verursachen würde. Schließlich meinte man, bestimmte Ãœbungen wären für die weibliche Gesundheit besonders schädlich. z.B. könnten Erschütterungen die Gebärmutter schädigen. Die Devise war anfangs: Kopf oben, Beine unten und geschlossen“. (aus dem Archiv des Turnverein Franfurt von 1860)

Erst nach und nach veränderte sich die Turnkleidung, aus Röcken wurden Hosen und die Hosen wurden zunehmend kürzer. Und im Gerätturnen wagte man sich mit der Weiterentwicklung der Männer-Turngeräte auch an akrobatische Übungen.

Ab den 1890er Jahren gewann das Gerätturnen, die Gymnastik, das Ballspiel und das Volksturnen (heute Leichtathletik) als Wettkampf bei Turnfesten an Bedeutung, zunächst bei den Turnern und später auch bei den Turnerinnen.

Turnen und Sport wurde gesellschaftsfähig und als gesundheitsfördernd anerkannt. Frauen durften jetzt auch aktiv an den Turnfesten teilnehmen.

Der Schulsport wurde für Jungen und Mädchen gleichermaßen angeboten, oft aber unter räumlichen Einschränkungen, da es damals noch keine Schulturnhallen gab.

In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg (1918-1933) entwickelte sich der TVD zum führenden Turnverein in Dreieichenhain. Bedeutend war das kulturelle Angebot, z.B. mit einer eigenen Theatergruppe, dem Spielmannszug und den legendären Fastnachtsveranstaltungen. Und die Frauen waren immer mit dabei und zählten oft zu den treibenden Kräften. Für viele Frauen waren die Vereinsveranstaltungen oft das einzige Vergnügen neben ihrer aufreibenden Arbeit zur Versorgung der Großfamilie und der beschwerlichen Hausarbeit.

Ein vielfältiges und umfassendes Sport- und Freizeitangebot für Mädchen gab es im Dritten Reich im Rahmen der Jugendorganisation „Bund Deutscher Mädel - BDM“. Allerdungs war dieser Sport ideologisch ausgerichtet.

In beiden Weltkriegen und besonders in der Zeit des Vereinsverbotes ab 1933 waren die Frauen ein wichtiges Bindeglied in der Vereinsgemeinschaft. Während viele Männer im Krieg waren bildeten die Frauen eine Solidargemeinschaft, die auch über so manchen persönlichen Schicksalsschlag hinweg half.

Nach Wiedergründung des TVD im Jahr 1951 stand zunächst das Männer-,  Frauen-, Jugend- und Kinderturnen der Jungen und Mädchen und der Turner-Spielmannszug im Mittelpunkt des Vereinsgeschehens. Die jüngeren Frauen  fanden sich zu einer Turn- und Gymnastikgruppe zusammen. Initiatoren und Turnwarte waren Philipp Stroh und  Heinrich Winkel. Hauptsächlich wurden Vorführungen für Vereinsfeste eingeübt. Aus dieser Zeit ist die Akrobatikgruppe mit ihren mehrstufigen Pyramiden bekannt.

Zu dieser Zeit befand sich der Turnsaal im heutigen Burghofsaal (früher Cafe Frei). Die Geräteausstattung war eher spärlich. Verfügbar waren ein Männerbarren, eín Reck, ein Turnpferd, ein Kasten und ein Sprungbrett. Dazu noch einige einfache Matten aus Kokos und gesteppte Matratzen. Auch die Frauen und Mädchen turnten an den Männergeräten.

An dieser Stelle ist ein Rückblick auf die Entwicklung der Frauen-Turngeräte interessant.

So wurde der verspannte Stufenbarren in der heutigen Ausführung erstmals bei den Turn-Europameisterschaften 1967 eingesetzt. Zuvor wurde an Männerbarren mit oder ohne unterschiedlich hohen Holmen geturnt. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin wurden Pflichtübungen noch am Männerbarren und die Kürübungen am Stufenbarren geturnt. Diese technische Entwicklung bedeutete auch, dass die Turnübungen dynamischer und akrobatischer wurden. Schwünge, Umschwünge und Flugteile ersetzten die oft statischen und auf Stützkraft aufbauenden Übungen.

Ebenso interessant ist auch die Geschichte vom Schwebebalkenturnen, das seit 1934 zu den Turnübungen zählt. Der Schwebebalken wurde aus dem Schwebebaum, einem glatten Baumstamm auf dem man balancieren konnte, entwickelt. Das Schwebebalkenturnen stellt hohe Anforderungen an die Körperbeherrschung der Turnerinnen und ist heute der Inbegriff für Ästhetik, Rhythmik und Ausdruck im Frauenturnen.

Bis in die 1960er Jahren waren Frauen im TVD in der Minderheit. Entsprechend war auch das sportliche Angebot nur sehr begrenzt. Typisch für die damalige Zeit war die traditionelle Hausfrauengymnastik. Erst durch die Gründung der Kegelabteilung, der Tennisabteilung und der Tanzabteilung kamen mehr Frauen in den Verein, die auch leistungsorientiert trainierten und sich dem Wettkampf stellten.

Entscheidende Bedeutung für diese Entwicklung hatte auch der Bau der vereinseigenen Turnhalle in den 1950er und 1960er Jahren – eine der Glanzleistungen in der Vereinsgeschichte. Auch hier leisteten die Frauen einen wichtigen Beitrag, z.B. damit, dass sie ihren Männern und Freunden die Zeit gaben die Turnhalle zu bauen, von dem oft knappen Haushaltsgeld noch Geld abzugeben zum Kauf von Bausteinen, sie putzten den Saal nach Tanzveranstaltungen und Maskenbällen und sie standen in der Küche und an der Theke im neuen Vereinslokal.

In der Turnabteilung wurden jetzt auch regelmäßige Turnstunden für Mädchen und das „Mutter-Kind-Turnen“ angeboten. Hier war es vor allem Karl-Heinz Winkel, der mit neuen Ideen die Turnstunden bereicherte. Das Ergebnis war, dass bald eine leistungsstarke Mädchen-Turnriege entstand, die auch bei Gerätturn- und Leichtathletikwettkämpfen auf Gau- und Landesebende erfolgreich war. Die Teilnahme an den Gauturnfesten, Landesturnfesten und Deutschen Turnfesten wurden zu wichtigen Ereignissen.

Das sich verändernde Körper- und Gesundheitsbewusstsein, geprägt durch die Trimm-Dich und Fitnessbewegung in den 1960er-70er Jahren, bescherte auch dem TVD einen erheblichen Mitgliederzuwachs an Frauen in allen Altersklassen. Die Turnstunden wurden bereichert durch Jazzgymnastik und Aerobic, später auch Yoga und traditionelle chinesische Gymnastikformen sowie spezielle Bewegungsprogramme im Fitness- und Gesundheitssport.

Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die Erweiterung der vereinseigenen Turnhalle zu einem modernen Sportzentrum mit mehreren gut ausgestatteten Übungsräumen.

Insgesamt ist festzustellen, dass Frauen heute fitnessbewusster sind als Männer. Sie investieren viel Zeit und Geld in sportliche Angebote. Davon profitieren aber nicht nur die Turnvereine sondern auch vermehrt die kommerziellen Sportanbieter.

Heute im Jahr 2012, also 100 Jahre nach Gründung der ersten Frauen-Turngruppe sind die Frauen und Mädchen im TVD auf der Erfolgsspur. Einen relativ hohen Anteil an Frauen und Mädchen haben neben der Turnabteilung die Abteilungen Aikido, Boule, Kegeln, Schwimmen, Tanzen, Tennis, Volleyball, Wandern und das Blasorchester. Noch Entwicklungsmöglichkeiten gibt es beim Fußball, Leichtathletik, Dart und Tischtennis. Überregional sehr erfolgreich und ein Aushängeschild für den TVD sind die Mädchen- und Frauenteams im Volleyball und Tennis sowie die Kegelfrauen.

In den Vereinen und Abteilungen des Deutschen Turner-Bundes stellen die Frauen und Mädchen heute mit ca. 70 % die größte Personengruppe. Diese positive Entwicklung war stetig, von 43% im Jahr 1950 über das Jahr 1967 wo mit 51% erstmals mehrheitlich Frauen und Mädchen gemeldet waren und hält bis zum heutigen Tag unverändert an. Besonders im Fitness- und Gesundheitssport haben sich die Frauen zu einem bedeutendem Wirtschaftsfaktor entwickelt. Auch im Landessportbund Hessen hat sich der Frauen- und Mädchenanteil seit 1950 kontinuierlich entwickelt von 10% auf heute 41%, wobei der Zuwachs bei den Älteren besonders hoch ist. Hier profitieren vor allem die Turnvereine mit ihren vielfältigen Sportangeboten. Eine hohe Frauenquote >45% haben die Sportfachverbände Behinderten- und Rehasport, Leichtathletik, Pferdesport, Schwimmen, Sportakrobatik, Tanzen, Turnen und Volleyball.

Bemerkenswert ist aber, dass sich die Frauen nur sehr langsam auch in den Führungsgremien der Vereine und Verbände etablieren. Noch heute typisch sind Vorstandsämter wie Schriftführerin und Kassenwartin. Im TVD wurde erstmals 1923 eine Frau in den Vereinsvorstand gewählt. Selten findet man Frauen in Funktionen, die mit strategischer Sportentwicklung und Management zu tun haben. Das liegt sicher nicht an mangelnder Qualifikation der Frauen sondern eher am Machterhalt der Männer. Aber überall dort wo Frauen die Geschicke eines Vereins lenken, spürt man einen kooperativen Führungsstil und viel Kreativität in der Vereinsentwicklung.

Anders sieht es allerdings im Bereich der Übungsleiter und Trainer in den turnerischen Sportarten aus. Hier sind es hauptsächlich Frauen die sich mit viel Engagement um die Übungsgruppen kümmern und immer bemüht sind mit neuen Ideen die sportlichen Angebote zu bereichern. Somit bilden unsere qualifizierten Übungsleiterinnen das Rückgrat des TVD und sind ein wichtiges Bindeglied zu den Vereinsmitgliedern.

Ausblick:

Die Bedeutung des Frauensports in unserer Gesellschaft wird weiter zunehmen, nicht nur in den Vereinen sondern auch bei anderen, häufig kommerziellen Sportanbietern. Frauen werden sich immer mehr auch in Sportarten etablieren, die bisher als Männersport angesehen wurden. Typisch dafür ist Frauenfußball aber auch Kampfsportarten.

Vor allem die großen Mehrzweckvereine, und dazu zählt der TVD, stehen hier vor großen Herausforderungen. Mit ihren vielfältigen und immer aktuellen Sportangeboten, besonders im Fitness- und Gesundheitssport bilden Sie die Basis für eine ganzheitliche Versorgung.

Eine wichtige Aufgabe für den Frauensport wird es auch sein die Frauen und Mädchen aus anderen Kulturkreisen zu integrieren. Hier hat der Sport insgesamt Nachholbedarf.

So wie es vor 100 Jahren die Frauen aus Dreieichenhain geschafft haben vollwertige Vereinsmitglieder zu werden und sich über den Sport zu emanzipieren, so kann sich auch heute und in den nächsten Jahren die Geschichte im Hinblick auf Migrantinnen wiederholen. Sport bietet die besten Voraussetzungen für Integration. Wenn es uns gemeinsam gelingt die Mütter für den Vereinssport und das kulturelle Vereinsleben zu begeistern und wenn die Mütter diese positiven Erfahrungen in ihre Familien übertragen, dann wird das zu einem friedvollen Zusammenleben in unserer multikulturellen Gesellschaft führen.

Ich möchte enden mit der Feststellung von Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, anlässlich der Feier 100 Jahre Frauensport am 8.3.2011: „Der größte nicht gehobene Schatz im DOSB liegt bei den Frauen“

Wolfgang Pfannemüller, Dreieich

 


 100 Jahre Fußball im TVD

Überlegungen zur Gründung der TVD Fußballabteilung im Jahr 1913 und die Entwicklung bis zum Vereinsverbot im Jahr 1933.

(Autor: Wolfgang Pfannemüller, im April 2013)

Vorwort:

Diese Dokumentation ist der Versuch die Entwicklung des Fußballs im Turnverein 1880 Dreieichenhain in einen historischen Zusammenhang mit der Sportgeschichte zu bringen.

Anders als heute hatte der Fußball  in den Gründerjahren noch nicht die Bedeutung eines Volkssports die ihm heute zugeschrieben wird. Auch gab es noch nicht eine übergeordnete Sportorganisation wie den heutigen Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Verbreitet waren Turnvereine, die der Deutschen Turnerschaft, dem Arbeiter-Turner-Bund zugeordnet waren sowie Vereine und Clubs für bestimmte Sportarten. Der englische Begriff „Sport“ wurde aber kaum verwendet. Dafür war der Begriff „Leibesübung“ üblich.

Es war der Arbeiter-Turner-Bund (ATB) der sich nach dem Ersten Weltkrieg auch anderen Sportarten öffnete und diese Entwicklung mit der Namensänderung in Arbeiter-Turn-und Sportbund (ATSB) dokumentierte. Der ATSB wurde damit zu einem Dachverband  mit einem vielfältigen Sportangebot, eigenständigen Wettbewerben und nationalen Meisterschaften.

Daneben bestanden die Fachverbände, z.B. der DFB, mit gleichartiger Wettkampforganisation bis zu nationalen Meisterschaften. Das hatte zur Folge, dass es häufig mehrere Meister in einer Sportart auf regionaler und nationaler Ebene gab. So wurde im Fußball im DFB und im ATSB getrennt voneinander ein Liga-Spielbetrieb von der regionalen bis zur nationalen Ebene durchgeführt. Selbst Länderspiele fanden in beiden Verbänden statt. Übrigens: erster Fußball-Bundessieger im Jahr 1920 war der TSV Fürth aus dem die Spvgg. Fürth (heute Spvgg. Greuther Fürth 1903) hervorging.

Erst nach dem Verbot des Arbeitersports im Jahr 1933 durch die Nationalsozialisten und der Gleichschaltung aller Sportverbände wurde der gesamte Sport im Jahr 1934 unter dem Dach des „Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen“ (NSRL) zusammengefasst. Fußball wurde zusammen mit Rugby und Kricket dem Fachamt 2 zugeordnet. Die im NSRL entwickelten Strukturen bildeten später die Grundlage für den Aufbau der heutigen Sportorganisation in Deutschland, bestehend aus den Sportfachverbänden, Landessportbünden und dem Deutschen Olympischen Sportbund.

Während sich die Sportfachverbände vorwiegend mit dem Wettkampfwesen befassen, fühlt sich der Deutsche Turner-Bund (entstanden aus der Deutschen Turnerschaft, dem Arbeiter-Turn- und Sportbund und konfessionellen Turnorganisationen) aus der Tradition heraus nach wie vor als ein Dach- und Fachverband für seine traditionellen Mitgliedsvereine. Dabei kümmert er sich neben den olympischen Turnsportarten und einer Vielzahl anderer Disziplinen vor allem um den Breiten- und Gesundheitssport für Männer, Frauen bis ins hohe Alter sowie das Kinderturnen als Grundlagenausbildung für alle Sportarten sowie der Pflege der traditionellen Turnkultur.

Zwischen dem Arbeitersport und dem bürgerlichen Sport gab es durchaus Unterschiede. Dem bürgerlichen Sport wurde nachgesagt, dass er vorwiegend das Leistungsstreben des Einzelnen und den Wettkampferfolg fördert, während es im Arbeitersport mehr um die Vervollkommnung der ganzheitlichen Bewegungskultur in der solidarischen Gemeinschaft geht. So haben sich die Arbeiterfußballer zum Ziel gesetzt das Spiel selbst zu kultivieren und die Fairness zu fördern.

In einer Stellungnahme des Arbeiter-Turner Bund (ATB) wurde das Fußballspiel als „proletarischer Sport, roh und gefühlslos, brutal und unzivilisiert, entsittlichend und tierische Instinkte weckend sowie wahnsinnigste Spielerleidenschaften entfesselnd“ bezeichnet. Argumentiert wurde ferner, „dass über das Fußballspiel fundamentale Prinzipien der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft in der Arbeiterklasse verbreitet würden, ...das Spiel fördert durch seinen Wettkampfcharakter, also durch die Tatsache, dass zwei Parteien um einen Sieg kämpfen und dabei auch körperlichen Einsatz  gegeneinander eine bedeutende Rolle spielt, zum einen ein kompromisslosen Konkurrenzdenken. Zum anderen glaubte man, dass die Hervorhebung einzelner guter Spieler dem Egoismus Vorschub leisten könnte. Dazu trat die Auffassung, dass im Gegensatz zum Turnen der Fußballsport den Körper nur einseitig ausbilden und belasten und für die täglich am Arbeitsplatz schweren Anforderungen ausgesetzte Menschen  die Gefahr der Ãœberanstrengung in sich bergen würde.

Um das turnerische Körperideal gegenüber den Arbeiterfußballern zu verteitigen und sie zu einer Beteiligung am Turnen zu bewegen wurde formuliert: „Während der Turner in stolzer Haltung mit gehobener Brust daherschreitet, kommt der Nurfußballer mit gesenkten Kopf, die Brust tief eingedrückt, die Arme wie unnötige Anhängsel mit sich führend, daher geschlendert. Die Beine sind stets in Offensivstellung gehalten, und wehe der leeren Blechbüchse oder anderen schussfähigen Gegenständen, die dreist genug sind, sich ihnen in den Weg zu legen...In genau derselben Haltung liefern sie ein Wett- oder Gesellschaftsspiel auf dem Sportplatze. Beine und Lunge werden zu größerer Tätigkeit angespornt, während die Brust zwischen den schlaff herabhängenden Armen eingepfercht wird...Eine solche einseitige Betätigung muss dem Menschen unbedingt mit der Zeit in seiner Gesundheit schädigen. Viele Fußballer haben schon die Richtigkeit dieser Logik erkannt und beteiligen sich auch nebenbei am Hallensport... ein großer Teil der Fußballer aber steht dem Geräteturnen noch interessenlos gegenüber. Es ist dies leider zu bedauern, doch hoffen wir, dass auch sie zur Einsicht kommen und recht bald erkennen, was für ihr körperliches Wohl nottut... Also ihr Fußballer, strampelt euch heraus aus eurer sportlichen  Lethargie, lasst euch wenigstens einmal in der Wochen in der Turnhalle sehen“ (Quelle: Volkssport vom 1.3.1022))

Ich möchte interessierte TVD Vereinsmitglieder und Fußballfreunde einladen an dieser Chronik aktiv mitzuarbeiten, zum Beispiel durch Bereitstellung von historischen Fotos und Zeitungsberichten oder durch eigene Beiträge zu diesem Thema.

Quellen für diese Dokumentation und das Vorwort sind:

ñ  „Illustrierte Geschichte des Arbeitersports“, Herausgeber Hans-Joachim Teichler und Gerhard Hauk, Verlag J.H.W. Dietz Nachf., ISBN 3-8012-0127-9,

ñ  Festbuch des Turnverein 1880 Dreieichenhain e.V. 125 Jahre TVD,

ñ  Informationen aus Wikipedia und

ñ  verschiedenen Vereinschroniken.

So könnte es gewesen sein?

Die traditionellen Turner im Turnverein 1880 Dreieichenhain taten sich schwer mit der Einführung des Fußballspiels, das seit der Jahrhundertwende aus England stammend zunehmend auch in Deutschland populär wurde. Neben dem Gerätturnen, Freiübungen (Gymnastik) und dem Volksturnen (Leichtathletik) wurde mit dem Faustballspiel bereits ein Mannschaftsspiel in das Vereinsangebot aufgenommen. Aber Fußball – das ging zu weit, zumal es auch vom Arbeiter-Turner-Bund, in dem der TVD Mitglied war, abgelehnt wurde. Nach deren Ansicht entsprach das Fußballspiel nicht den Wertevorstellungen der Turnkultur.

Hinzu kam, dass es  in der Region kaum ein Turnverein gab, der dieses elitäre Fußballspiel förderte. Die Fußballer gründeten in der Regel eigene Vereine oder Clubs nach englischem Vorbild. So war in Dreieichenhain bereits seit 1902 der Fußball-Club „Dreieich“ 1902 Dreieichenhain e.V. aktiv, der eher dem bürgerlichen Stand zugeordnet werden konnte.

(weitere Fußballvereine in der näheren Umgebung waren zum Beispiel: Fußball-Verein 1906 Sprendlingen, 1. Fußball-Club 1903 Langen, Freispielclub 1903 Neu-Isenburg (heute Spvgg), Offenbacher-Fußball-Club 1901)

Es ist aber der Weitsicht des damaligen TVD Vorstandes zu verdanken, dass er 1911 dem Drängen von jungen Männern nachgab und das Fußballspielen unter dem Dach des TVD erlaubte, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auch die Turnstunden regelmäßig besucht wurden. Mit der neuen Sportart wollte man auch jüngere Turner dauerhaft an den Verein binden und neue Vereinsmitglieder gewinnen. Der TVD und die Turngemeinde Langen (heute SSG) waren die ersten Turnvereine in der Region, in denen Fußball anboten wurde.

Zunächst trafen sich die Fußballer am arbeitsfreien Sonntag zum Fußballspielen auf einer gemähten Wiese, bald darauf wurden einheitliche Trikots angeschafft und es entwickelte sich so etwas wie eine eigenständige Fußballidentität. Die gelegentliche Spiele gegen andere Mannschaften aus der näheren Umgebung wurden zu örtlichen Ereignissen und auch bei den Auswärtsspielen wurde die Mannschaft von vielen Freunden unterstützt.

Dann reichte die gemähte Wiese als Spielfeld nicht mehr aus und der TVD erwarb 1912 einen eigenen Platz in der Gemarkung „Im Haag“, der mit Eigenmitteln und tatkräftiger Mitarbeit aller Fußballer zu einem ordentlichen Sportplatz mit festen Toren hergerichtet wurde. Im Jahr 1913 war es dann soweit. Fußball wurde als eigenständige Abteilung in den TVD integriert. Schon bald nahm die Mannschaft am Liga-Spielbetrieb teil.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 musste der Spielbetrieb zunächst eingeschränkt und dann eingestellt werden. Viele Fußballer zogen als Soldaten in den Krieg. Das Vereinsleben insgesamt kam zum erliegen.

Nach den Wirren des Krieges fanden sich die Fußballer erneut zusammen und stellten eine Mannschaft für den Liga-Spielbetrieb. Diese Entwicklung wurde begünstigt, da auch der Arbeiter- Turn- und Sportbund als Dachverband nun endlich nach langer Diskussion das Fußballspiel als eigenständige Sparte anerkannte. Fußball wurde jetzt auch in anderen Turnvereinen populär. Im TVD wurde auch eine Jugendmannschaft gegründet.

Die TVD Fußball-Mannschaften nahmen bis zum Jahr 1933 am Spielbetrieb des Arbeiter-Turn- und Sportbundes teil, der in Konkurrenz zum bürgerlich geprägten Deutschen Fußball Bund stand. Häufig gab es eine örtliche Rivalität zwischen den standesbewussten Arbeitersportlern und den Bürgerlichen, die oft auch heute noch zu spüren ist.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurden alle Arbeiterorganisationen verboten, dazu zählten neben den Sozialdemokraten, den Kommunisten und Gewerkschaften auch der Arbeiter-Turn-und Sportbund mit all seinen Mitgliedsvereinen und Sportarten. Für die TVD-Fußballer war dies das Aus. Manche Spieler wechselnden zu benachbarten Vereinen im Deutschen Fußball Bundes, der seinen Spielbetrieb noch weiter aufrecht erhalten konnte und bis zum Zweiten Weltkrieg in die einheitliche nationalsozialistische Sportbewegung integriert wurde. Im Verlauf des Krieges kam vielerorts der geordnete Spielbetrieb zum erliegen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es noch einige Zeit bis sich in den Gemeinden wieder das Vereinswesen bildete, zunächst in Mehrzweckvereinen mit sportlichen und kulturellen Angeboten entsprechend den Vorgaben der damaligen amerikanischen Besatzungsmacht. So fanden sich Sportler als Zweckgemeinschaft zusammen, die zuvor mit der unterschiedlichen Sportkultur des Arbeitersports und dem bürgerlichen Sport aufgewachsen und davon geprägt waren. Einzig verbindendes Glied war der gemeinsame Sport selbst.

So kam es im Jahr 1951 zur Wiedergründung des Turnverein 1880 Dreieichenhain, dessen Mitglieder an die erfolgreichen Jahre bis 1933 anknüpfen und einen Verein in alter Größe und Bedeutung entwickeln wollten. Wie in den Gründerjahren stand zunächst das Turnen und die Gymnastik für Männer, Frauen und Kinder im Mittelpunkt. Als Ergänzung wurde Handball angeboten und es gab einen Spielmannszug.

Das „Wunder von Bern“, der überraschende Sieg der deutschen Fußball Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1954, gab auch den Anstoß, dass sich im TVD wieder eine Fußballabteilung gründete. Der regelmäßige Trainings- und Spielbetrieb der Männer- und Jugendmannschaften fand auf dem neu gebauten Sportplatz an der heutigen Breite Haagwegschneise statt. Mit ihrer einheitlichen Spielkleidung in den Vereinsfarben Grün-Weiß (weißes Hemd mit grünem Brustring, grüne Hose und grün-weiße Stutzen) sorgten sie in den Heim- und Auswärtspielen für Aufsehen bei den damals noch zahlreichen Zuschauern. Höhepunkt war die Meisterschaft der ersten Mannschaft in der B-Klasse Offenbach-West im Spieljahr 1959/60 und der Aufstieg in die A-Klasse. Der TVD war in dieser Zeit der einzige Verein in Dreieichenhain in dem Fußball in allen Altersklassen gespielt wurde und die Dreieichenhainer Fußballer waren zumindest auf Kreisebene eine bekannte Größe.

Seit dem Jahr 1954 besteht ohne Unterbrechung eine Fußballabteilung im TVD.

WPfa


 Warum heißt der TVD eigentlich „Turnverein“ ?
Aufsatz von Wolfgang Pfannemüller (Dreieich), zum 125. Jubiläum des Turnverein Dreieichenhain im Jahr 2005

Warum heißt der TVD eigentlich "Turnverein". Diese Frage stellen häufig Neubürger und auch jüngere Vereinsmitglieder an den Vorstand und verweisen darauf, dass das „Turnen“ nur eine von vielen Sportarten ist, die im Turnverein Dreieichenhain angeboten werden.

Um diese Frage umfassend beantworten zu können lohnt sich ein Rückblick auf die über 200 jährige Geschichte der deutschen Turnbewegung, die eng mit dem Wirken des patriotisch liberalen „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) aber auch dem Hanauer Turnerführer und radikalen Demokraten August Schärttner (1817-1852) verbunden ist.

Die Eröffnung des ersten öffentlichen Turnplatzes auf der Berliner Hasenheide im Jahr 1811 durch Jahn wird als Beginn des Turnens angesehen. Von Jahn angeleitet, wurde an speziellen Geräten, wie Barren, Reck, Pferd, Ringe, Taue, Balancierbahn „geturnt“ und es wurden auch Dauerläufe angeboten. Ziel war die allgemeine Körperertüchtigung der jungen Männer und der „Zöglinge“. Aus heutiger Sicht ist dieser Turnplatz vergleichbar mit einem Fitnessstudio. Der Begriff „Turnen“ ist eine Wortschöpfung von Jahn.

Das allgemeine Volksturnen fand immer mehr Anhänger, speziell in den Burschenschaften. So waren Turner und Studenten die wichtigsten Wegbereiter einer demokratischen Entwicklung im damaligen Deutschland. Im Jahr 1817, wo auch das Wartburgfest stattfand, gab es bereits über 100 öffentliche Turnplätze und die ersten Vereine, damals noch „Turnerschaft“ oder „Turngemeinde“ genannt.

Das gemeinschaftliche Turnen in der Natur war aber nur ein Teil der Turnbewegung. Gleichbedeutend waren auch Diskussionen über die freie Rede, eine mögliche Verfassung und über die Einigkeit des Vaterlandes. Aus heutiger Sicht sind die Turnerschaften und Turngemeinden die ersten Institutionen mit demokratischen Strukturen aus denen sich später auch die Gewerkschaften und Parteien entwickeln sollten. Dieses politische Wirken und die kritische Haltung der Turner gegenüber der Obrigkeit führten auch zum mehrmaligen Verbot des Turnens. Trotz Verbot des Turnens, Verfolgung und Verhaftung der Turnerführer kam das Turnen nie wirklich zum Erliegen und häufig gingen die Turner sogar gestärkt aus dieser Repression hervor.

Als im Jahre 1880 der Turnverein Dreieichenhain gegründet wurde war das Turnen bereits in allen Regionen weit verbreitet. Die Turner waren in regionalen Verbänden (Turngaue, Turnkreise) organisiert und trafen sich zu regelmäßigen Turnfesten. Auch der Staat hatte längst erkannt, dass von der demokratisch geprägten Turnbewegung keine Gefahr ausgeht und so gab es kaum noch Probleme bei der Genehmigung von Vereinsgründungen. Für die damaligen Turnvereine war es eine Selbstverständlichkeit, dass man sich selbst helfen musste. Es gab keine finanzielle Förderung des Staates und es wurden auch keine Turnplätze und Turnhallen bereit gestellt. Jedes Vereinsmitglied leistete seinen angemessenen Beitrag zum Bau eines Turnplatzes und zum Erwerb von Turngeräten. Dieses gemeinsame Handeln wirkte sich auch positiv auf den Zusammenhalt der Gemeinschaft aus.

Die üblichen Angebote der Turnvereine in den Gründerjahren waren Geräteturnen, Volksturnen (heute Leichtathletik), Freiübungen (heute Gymnastik), Wandern, Musizieren im Spielmannszug, Singen, Tanzen und Theater spielen. Es gab das jährliche An- und Abturnen, Tanzveranstaltungen, Theateraufführungen und Turnfahrten zu den Gauturnfesten und Bergturnfesten in der Region. Der örtliche Turnverein war häufig die kulturelle Institution in einer Gemeinde. Oft gab es enge Verbindungen mit der örtlichen Feuerwehr. Mit der zunehmenden Industrialisierung im auslaufenden 19. Jahrhunderts, geprägt von langen täglichen Arbeitszeiten, Akkord und der 6-Tage-Woche kamen auf die Turnvereine neue Aufgaben hinzu. Hier fand der Arbeiter am arbeitsfreien Sonntag einen Ausgleich in den gemeinschaftlichen Leibesübungen und dem geselligen Leben in der Vereinsfamilie. Und durch die Einbindung in die Vorstandsarbeit wurden auch demokratische Kenntnisse und Führungsqualitäten entwickelt und gefördert, unabhängig von Herkunft und Ansehen. So waren Turnvereine auch Wegbereiter für demokratisches Verhalten, Gleichberechtigung und Integration.

Mit der Industrialisierung wurde auch der Leistungsgedanke in unsere Gesellschaft getragen und fand in der englischen Sportbewegung seine besondere Ausprägung. Der Fußballsport wurde um die Jahrhundertwende populär und führte zur Gründung spezieller Fußballvereine. Bald traf man sich zu Wettspielen und es wurden regionale Meisterschaftsrunden eingeführt. Auch wurden Wettkämpfe in den leichtathletischen Disziplinen, im Schwimmen, Rad fahren, Fechten und anderen Einzelsportarten eingeführt. Häufig stand nicht mehr die Gemeinschaft im Vordergrund sondern der Erfolg des Einzelnen. Durch die neuartigen Olympischen Spiele gab es die ersten „Sportstars“ und es entwickelte sich auch die Konkurrenz zwischen den Vereinen, auf der einen Seite die traditionell geprägten Turnvereine und auf der anderen Seite die leistungsorientierten „Sport“-treibenden Vereine. Die verschiedenen Philosophien in der Turn- und Sportbewegung führten zwangsläufig zur Bildung unterschiedlicher Organisationen. So gab es die konservativ bürgerlich geprägte Deutsche Turnerschaft, den weltoffenen Arbeiter- Turn- und Sportverband und konfessionell ausgerichtete Sportorganisationen.

Der Turnverein Dreieichenhain schloss sich 1904 dem Arbeiter Turn- und Sportbund an und profitierte in der sportlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Vereinsentwicklung von den fortschrittlichen Zielen dieser Gemeinschaft.

Zwischen 1920 und 1933 entwickelte sich der Turnverein Dreieichenhain zu einem führenden Verein in der Region. Die erfolgreiche Turnriege, Fußballer und der Spielmannszug waren weit über Region Dreieich hinaus bekannt. Der TVD war häufig Gastgeber von großen Turnfesten und Turnieren und konnte mit seinen kulturellen Veranstaltungen viele Menschen mobilisieren. Erwähnenswert ist auch, dass im TVD schon sehr früh die Frauen sportlich aktiv sein konnten (siehe auch "100 Jahre Frauenturnen").

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde der TVD verboten. Ein wesentlicher Grund für dieses Verbot war, dass viele Mitglieder des TVD den Sozialdemokraten und Gewerkschaften nahe standen und auch einige dem jüdischen Glauben angehörten. Die Integration, die viele Jahre erfolgreich im TVD gelebt wurde, wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Das stattliche Vereinsvermögen und die Turn- und Sportgeräte wurden eingezogen und an die anderen Vereine aufgeteilt. Die Vorstandsmitglieder mussten um Leib und Leben fürchten. Wer jetzt Sport treiben wollte, musste das in den gleichgeschalteten Vereinen tun. Doch die Solidarität innerhalb der Vereinsfamile überlebte auch die Wirren des zweiten Weltkrieges.

Im Jahr 1945 wurden alle ehemaligen Dreieichenhainer Vereine auf Erlass der amerikanischen Besatzung zu einer Sport- und Kulturgemeinschaft zwangsweise zusammengeschlossen. Der Turn- und Sportbetrieb wurde wieder gemeinschaftlich aufgebaut.

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 durften sich wieder einzelne Vereine gründen. In vielen Gemeinden kam es danach zu grundsätzlichen Diskussionen über die zukünftige Organisation des Vereinssports. Manche entschieden sich zur Beibehaltung der verordneten Vereinsform mit vielfältigen Sport- und Kulturangeboten. Vereinsnamen wie SKG (Sport- und Kulturgemeinschaft), SG (Sportgemeinschaft), SV (Sportverein), SSG oder SUSGO (Sport- und Sängergemeinschaft), TSV (Turn- und Sportverein) oder TSG (Turn- und Sportgesellschaft) zeugen noch heute von dieser Entwicklung. In vielen Fällen kam es aber auch zur Wiedergründung der traditionellen Vereine – und dazu zählt auch der Turnverein Dreieichenhain, der sich im Januar 1951 mit den Abteilungen Turnen und Spielmannszug wieder gründete.

Mit der Eigenständigkeit des Turnverein wurden auch die alten Werte des Vereins wieder belebt. Alte und neue Mitglieder fanden sich bald zu Solidargemeinschaften zusammen, veranstalteten Maskenbälle und Feste und pflegten ein reges Vereinsleben. Neben dem Turnen und dem Spielmannszug wurden bald auch die Mannschaftsspiele Fußball und Handball neu belebt und neue Sportarten wie Tischtennis angeboten. Besondere Angebote gab es für Kinder und Jugendliche.

Da der Sportbetrieb in einem Gaststättensaal bald nicht mehr bewältigt werden konnte und die Nachfrage nach zusätzlichen Sportarten und Übungsgruppen zunahm, sowie im Hinblick auf neue Möglichkeiten im geselligen und kulturellen Bereich traf der TVD im Jahr 1957 die wegweisende Entscheidung zum Bau einer eigenen Turnhalle. Diese Turnhalle, die heute den Namen des langjährigen Vereinsvorsitzenden Alfred Haimerl trägt, wurde zwischen 1957 und 1967 in mehreren Bauabschnitten und mit Eigenhilfe vieler Vereinsmitglieder gebaut. Danach gab es mehrere Umbauten und Erweiterungen, entsprechend den ständig wachsenden Bedürfnissen. Im Jubiläumsjahr verfügt der TVD über ein modernes Sportzentrum, mit großzügigen Räumlichkeiten für Sport, Kultur und Geselligkeit.

Der Turnverein bietet heute im Jahr 2016 folgende Sportarten an: Kinderturnen, Gymnastik und Fitness, Gerätturnen, LeParkour, Leichtathletik, Fußball, Kegeln, Darts, Boulespiel, Tennis, Tischtennis, Volleyball, Tanzen, Schwimmen, Wandern, Walking, Aikido Kampfkunst und konzertante Blasmusik. Dabei liegen die Schwerpunkte im Breiten- und Freizeitsport. Aber auch der wettkampforientierte Mannschaftssport in den Ballspielen, Tennis und Tischtennis hat im TVD eine Heimat. Besondere qualifizierte und zertifizierte Angebote gibt es für Senioren und im Gesundheitssport.

Doch noch einmal zurück zu der Frage „Warum heißt der TVD eigentlich Turnverein ?“

Der TVD sieht sich in der Tradition seiner Gründer und Wiedergründer. Turnen wird nicht gleichgesetzt mit dem allseits bekannten Gerätturnen oder Kunstturnen, obwohl es turnerische Sportarten sind. Turnen wird im TVD eher verstanden als ein umfassender Begriff für Bewegung, Freizeit und Geselligkeit in der Gemeinschaft. Somit ist der Turnverein ein Verein in dem vielfältige Bewegungsangebote, Freizeitgestaltung und Geselligkeit angeboten wird. Die moderne Sprache hat dafür den Begriff „Wellness“ gefunden. Aber unter Turnen werden auch die Werte wie Solidarität, demokratisches Handeln und Integration verstanden. Daraus folgt, dass der Name „Turnverein“ heute hochaktuell und ein Markenzeichen ist und die Idee von „Turnvater Jahn“ das Turnen zu einer Massenbewegung ohne Ausgrenzung zu entwickeln von großer Weitsicht geprägt war.

Der Turnverein Dreieichenhain ist stolz darauf, dass er seinen Vereinsnamen nie geändert oder aufgegeben hat.

In der Chronik des Turnverein Dreieichenhain, veröffentlicht im Jubiläums-Festbuch und der Homepage www.tvdreieichenhain.de sind die wichtigsten Ereignisse der langen Vereinsgeschichte ausführlich dargestellt. Zusätzliche Informationen in Schrift und Bild bietet die Jubiläumsausstellung des Turnvereins in der Alfred-Haimerl-Halle. ( Autor: Wolfgang Pfannemüller)


Dieser Beitrag zur Turngeschichte gibt am Beispiel der Hamburger Turnerschaft von 1816, dem ältesten Verein in Deutschland, einen guten Einblick in die Entstehung der Turnkultur und zeigt Werte an, die auch heute noch für die Arbeit der Turnvereine eine Orientierungshilfe sind.

Mit der Gründung der Hamburger Turnerschaft beginnt 1816 die Geschichte des organisierten Sports in Deutschland. Die Treffen einiger vaterlandsverliebter Draufgänger sind die Keimzellen der demokratischen und sozialen Vereinsszene. Diese Faszinationskraft der Turnkunst ist ungebrochen: Millionen Menschen treiben heute Sport im Verein und erfolgreiche Turner wie Fabian Hambüchen sind gefeierte Stars.

Im Jahr 1815 zog der achtzehnjährige Wilhelm Benecke von Berlin nach Hamburg, um dort seine Kaufmannslehre fortzusetzen. Die Befreiungskriege waren vorüber, die französische Besatzung beendet. In Berlin hatte Benecke begeistert mit vielen anderen
jungen Männern auf dem von Turnvater Jahn 1811 gegründeten Turnplatz auf der Hasenheide geturnt und daran sollte ihn der Umzug nicht hindern: Im Hof seiner neuen Hamburger Unterkunft baute er einige Turngeräte wie Reck, Barren und Kletterstange auf. Bald turnten auch in der Hansestadt mit Benecke und dem ebenfalls aus Berlin stammenden K. Krutisch immer mehr Turner. Ein im Reitstall ansässiger Fechtmeister G. Nicolai, ein früherer Husarenleutnant in der dänischen Armee und ebenfalls erklärter Turner, gründete 1816 den Hamburger Turnplatz, nach ganz bestimmten Vorgaben. Benecke und Krutisch schlossen sich mit ihren Turnern an und die Hamburger Turnerschaft von 1816 (HT 16) war geboren. Und damit etwas bahnbrechend Neues:

  • Eckpfeiler der Turngemeinschaft waren die Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge,
  • Ehrenamtlichkeit, Gemeinnützigkeit und die Mitbestimmung aller durch eine Turnordnung, der Vorform der heutigen Vereinssatzung.

Laut Historiker Michael Bergeest ist die Anstalt 1817 erstmals im Hamburger Adressbuch erwähnt: „Turn-Anstalt“ oder das „körperliche Bildungs-Institut“, wo die Jugend in allen Leibesübungen, nämlich im Laufen, Springen, Klettern, Exerzieren, Fechten, Hauen, Tanzen, Schwimmen, Eislaufen u.a.w. unterrichtet wird.“
Die Zahl der Turner auf dem „Ericus“, dem damaligen Turnplatz auf dem heutigen Rathausmarkt, wuchs schnell. Ab dem Winter 1817 gelang es ihnen, den Bretterboden der von den Franzosen zum Pferdestall umfunktionierten St. Johanniskirche zu mieten. Damit hatte Hamburg seine erste Turnhalle.

Als Benecke 1819 wieder zurück nach Berlin ging, zählte die Turnerschaft schon 140 Mitglieder. 1849 baut die HT16 als erster Verein eine vereinseigene Halle. Zahlreiche weitere Vereinsgründungen im ganzen Land folgten, dem Turner-Boom stand nichts mehr im Wege.

Vereine als Selbstorganisation

Wie konnte das Turnen so eine enorme Wirkung entwickeln? Was zog die jungen Männer an? Die ersten Turnvereine trafen ins Herz der jugendlichen Seelen. Schon ganz frühe Vorformen des heutigen Vereinswesens, wie Freimaurerlogen oder Patriotische
Gesellschaften, versuchten seit Mitte des 18. Jahrhunderts die mittelalterlichen Zünfte und Stände hinter sich zu lassen. Die Bürger fingen an, sich selbst zu organisieren und wichtige öffentliche Aufgaben wahrzunehmen. In dieser Tradition sahen sich die Turner und fühlten sich als Bürgerbewegung, die sich das Schlagwort Freiheit und Einigkeit auf die Stirn geschrieben hatte. Im Vordergrund standen das Gemeinschaftsgefühl und die Gleichheit der Mitglieder, betont durch die ausschließliche Verwendung des „Du“.

Entsprechend diente die Turnbewegung Jahns von Anfang an nationalpolitischen Zwecken. Schüler und Studenten, Handwerkslehrlinge und -gesellen sowie junge Kaufleute sollten sich in der schichtenübergreifenden Männergemeinschaft zu „echt deutschen“ Männern ausbilden. Ihre erklärten Hauptziele waren „Deutschheit, Mannheit und Freiheit“. Ihre Bibel war das 1816 von Jahn und Ernst Eiselen herausgegebene Buch „Die Deutsche Turnkunst“, in dem akribisch alle möglichen Turndisziplinen und Übungen beschrieben sind. Die Zeit dafür war überreif: Der Deutsche Bund, der am 8. Juni 1814 auf dem Wiener Kongress ins Leben gerufen wurde, bestand aus 41 souveränen Fürstentümern und freien Städten. Die Menschen mussten mit Grenzkontrollen, Binnenzöllen und zahlreichen bürokratischen Hürden leben und sich an neue Maßeinheiten gewöhnen. Es gab keine deutsche Hochsprache, die oberen Schichten sprachen Französisch oder Latein. Die Obrigkeit beäugte ihre Untertanen misstrauisch und hatte an ihrem Reformstau zu knabbern. Unter diesen Umständen ist es verständlich, dass sich viele einen deutschen Nationalstaat, ein vereinigtes Vaterland herbeisehnten wie Jahn, obwohl der damit leider auch eine antifranzösische und antisemitische Haltung einnahm und entsprechend später ideologisch vom faschistischen und nationalsozialistischen Lager vereinnahmt wurde.

Der Historiker und Lehrer Walther Borgius wies schon 1930 darauf hin, dass zudem um 1800 herum die körperliche Erziehung völlig in den Hintergrund geraten war und der Staat keinerlei Interesse an Gesundheit oder Wohlergehen der Kinder hatte allen Hinweisen
namhafter zeitgenössischer Pädagogen zum Trotz. Egal was Rousseau, Pestalozzi oder GutsMuths gefordert hatten, was Kindern Spaß macht, war verboten. Aktivitäten wie Herumtollen, Toben, ins Wasser springen und planschen, galten als Untugenden, als eine für das Staatsinteresse nicht nützliche Allotria, also Unfug und wurden in der Schule mit strengen Strafen verfolgt. Erst um 1842 herum, als sich französische Truppen wieder der
Rheingrenze näherten, war die Regierung an einem erwachenden Nationalgefühl interessiert. Die Frage nach der militärischen Tüchtigkeit des deutschen Volksheeres wurde neu gestellt und per Kabinettsorder vom 6. Juni 1842 wurde prompt das Turnen
empfohlen und 1862 in allen Volksschulen eingeführt.

Heute zählt der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) knapp 90.000 Turn - und Sportvereine und die Allotria, der grobe Unfug, später Zirkus, ist ein höchst
willkommener Bestandteil des Sports geworden.

Von Nicola Berchthold (Verband für Turnen und Freizeit in Hamburg) und bearbeitet von Wolfgang Pfannemüller (Dreieich), im Februar 2016.


Aktuelle Informationen über den Verein Hamburger Turnerschaft unter www.htg16.de.

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